Karin Kneffel gehört zu den wichtigsten deutschen Malerinnen der Gegenwart und ist eine Meisterin der raffinierten optischen Illusion. Ihre gegenständliche Malerei beherrscht das virtuose Spiel mit Verfremdungseffekten, mit ungewöhnlichen Blickpunkten, extremer Ausschnitthaftigkeit, Spiegelung und Unschärfe. Gerade der vielseitige Einsatz von Unschärfe in Kneffels Werk zeugt noch von ihrem Studium bei Gerhard Richter, dessen Meisterschülerin sie in den 1980er Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie war. Anders als bei Richter aber liegt der besondere Reiz von Kneffels Gemälden in der einzigartigen Kombination aus Schärfe und Unschärfe, aus Verfremdung und fotorealistischer Genauigkeit. Neben den großformatigen, vielschichtigen Gemälden entstehen immer wieder kleinere Darstellungen, die ein bestimmtes Sujet variieren. Für ihre erste Ausstellung in der Türkei bei der Galerie Dirimart, Istanbul, im Herbst 2013 entsteht eine mehrere Werke umfassende Folge von nahezu quadratischen Leinwänden, die jeweils 90 x 100 Zentimeter messen. Die Bildkompositionen variieren einen immer ähnlichen Aufbau. Durch eine beschlagene Glasscheibe schaut man auf eine urbane Landschaft in wechselnden Jahreszeiten, auf die Scheibe ist ein Satz geschrieben. Im ersten Bild dieser Reihe steht "I need a wall behind me", für ihr Publikum in der Istanbuler Ausstellung lässt sie den Satz ins Türkische übersetzen ("arkamda mutlaka bir duvar olmali") und malt verschiedene Variationen mit ähnlichen Versionen der Übersetzung auf die beschlagene Scheibe. Einzelne Silben und Worte wiederholen sich, doch machen die unterschiedlichen Wendungen deutlich, welches Spektrum an Variationen die türkische Sprache aufzubieten vermag. Karin Kneffel schafft es, ganz unterschiedliche Bewusstseinsebenen miteinander zu verbinden, indem sie Distanz schafft zwischen der dargestellten Szene und dem Blick darauf. Dies gelingt ihr mit dem Blick durch die Glasscheibe, die sich wie ein Fenster zwischen den Bildgegenstand und die Betrachter:innen schiebt. Das Fenster wird als solches gekennzeichnet, indem es selbst als Bildfläche dient, und zwar für eine Wassermalerei aus Wasser, Regentropfen oder Kondenswasser. Auch hier dienen Fotos als Ausgangspunkt. Um diesen besonderen Effekt so realistisch wie möglich nachzubilden, benutzt sie tatsächlich eine Glasscheibe, die sie auf die Fotografie legt und mit Wasser benetzt. Der Blick selbst wird zum Thema und setzt sich in Dialog mit dem Bildmotiv. Kneffel, die Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in München ist, hat ihre Bildsprache über die vergangenen Jahrzehnte hinweg ständig erweitert, sich immer wieder neue Motivkomplexe erschlossen, stets Neues gewagt und gerade auf diese Weise ein äußerst abwechslungsreiches und doch in seinen zentralen Grundelementen hoch konsistentes malerisches Œuvre geschaffen. So ist der Slogan "I need a wall behind me" programmatisch für ein Vorangehen mit einem stützenden Konstrukt im Rücken, das aber Raum lässt, nach oben, nach unten und nach vorne für neue Entwicklungen in verschiedene Richtungen. [SM]