Auktion: 539 / Modern Art Day Sale am 10.06.2023 in München Lot 319

 

319
Lovis Corinth
Selbstbildnis, 1919.
Gouache
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 34.290

(inklusive Aufgeld)
Selbstbildnis. 1919.
Gouache.
Rechts oben signiert und datiert "Februar 1919". Auf festem Velin. 34,6 x 25 cm (13,6 x 9,8 in), blattgroß. [JS].

• Beeindruckende malerische Selbstreflexion aus der herausragenden Moderne-Sammlung von Dr. Ismar Littmann, Breslau.
• Corinths Selbstporträts sind eindrucksvolle Begegnungen mit dem eigenen Ich und bilden einen zentralen Themenkomplex in Corinths Schaffen.
• Das berühmte Gemälde "Selbstbildnis mit Skelett" (1896), das als Ausgangspunkt für Corinths Werkfolge der Selbstbildnisse gilt, befindet sich in der Sammlung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München.
• Aus dem Umbruchsjahr 1919, in dem Corinth sich vom Berlin der frühen Weimarer Republik abwendet und sich in sein Haus am Walchensee zurückzieht, wo sein meisterliches Spätwerk entsteht
.

Wir danken Dor Levi, Ramat Gan, John F. Littman, Houston, Cornelia Muggenthaler, München, und Anna Rubin, New York, für die freundliche Unterstützung und gute Zusammenarbeit.

PROVENIENZ: Sammlung Familie Wilhelm Gumprecht, Berlin? (verso mit dem Sammlerstempel).
Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau (bis 1932).
Auktionshaus Hermann Ball / Paul Graupe, Berlin (im März 1932 in Kommission aus dem Eigentum des Vorgenannten, unverkauft).
Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau (ab 1932).
Privatbesitz (1950).
Privatsammlung Hamburg.
Galerie Pels-Leusden, Berlin (vom Vorgenannten, spätestens 1973-1977).
Privatsammlung Baden-Württemberg (1977 vom Vorgenannten erworben).
Gütliche Einigung des Vorgenannten mit den Erben nach Ismar Littmann (2023).
Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen. Das Angebot erfolgt in freundlichem Einvernehmen und bester Übereinstimmung mit den Erben nach Dr. Ismar Littmann.

AUSSTELLUNG: Lovis Corinth. Gedächtnis-Ausstellung Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Sächsischer Kunstverein Dresden, 22.1.- Mitte März 1927, Kat.-Nr. 168.
Lovis Corinth. Gedächtnisausstellung zur 25. Wiederkehr seines Todestages, Landesmuseum Hannover, 16.7.-3.9.1950, Kat.-Nr. 172.
Lovis Corinth. Gemälde, Aquarelle, Handzeichnungen und Grafik, Galerie Pels-Leusden, Berlin, 29.1.-24.3.1973, Kat.-Nr. 22 (m. Farbabb. S. 14).

LITERATUR: Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau, Inventar, 1930, Nr. 62.
Hermann Ball / Paul Graupe, Berlin, Gemälde und Plastiken neuerer Meister aus zwei Berliner Privatsammlungen. Gemälde u. a. von Boudin, Constable, Courbet, Degas, Renoir, Corinth, Liebermann, Leibl, Trübner, 21.3.1932 (Katalog Nr. 16), Los 33.

"In den Selbstporträts sind die tausenderlei Nuancen des Seelischen, all die vielen Möglichkeiten seines psychischen Reagierens und seines Verhaltens zu sich selber fixiert – die ganze Biographie seiner Seele liegt da ausgebreitet vor uns. […] Das waren sehr ernste und kritische Begegnungen mit dem eigenen Ich."
Zit. nach: Charlotte Berend-Corinth, Lovis, München 1958, S. 81.

Nicht weniger als drei Kunstwerke aus der hochbedeutenden Sammlung von Ismar Littmann können in diesem Katalog angeboten werden. Ebenso wie ein weiteres Gemälde, Pechsteins Meisterwerk "Die Ruhende", das als Museumsrestitution im Evening Sale präsentiert wird . Sind auch die Werke von Lovis Corinth, Paul Kleinschmidt und Wilhelm Schmid beredte Zeugnisse dieser einst strahlenden Sammlung.
Zusammengetragen hat sie der 1878 im oberschlesischen Groß Strehlitz geborene Kaufmannssohn Ismar Littmann, der als erfolgreicher Jurist mit seiner Ehefrau Käthe in Breslau lebt. Er führt ein offenes Haus, hier geht die legendäre "Breslauer Künstlerbohème" ein und aus, und nicht wenige Maler sind mit dem Sammler persönlich bekannt. Leidenschaftlich engagiert sich Ismar Littmann für die moderne Kunst seiner Zeitgenossen. Mit scharfem Blick für das Besondere wählt er ab den späten 1910er Jahren die Werke für seine Kunstsammlung aus.
Das tragische Ende der Sammlung Littmann kündigt sich jedoch schon bald an. Wie viele andere durch die Weltwirtschaftskrise ab den späten 1920er Jahren unter Druck geraten, liefert Ismar Littmann zunächst im März 1932 ein größeres Grafik-Konvolut aus seiner auf fast 6.000 Kunstwerke angewachsenen Kollektion beim Auktionshaus Paul Graupe in Berlin ein. Vier ausgesuchte Kunstwerke von Lovis Corinth jedoch werden parallel zu dieser Auktion in einem kleinen, ausgesuchten Kooperationskatalog von Graupe mit dem Antiquar Ball präsentiert. Darunter befindet sich das hier angebotene "Selbstbildnis" von Corinth (Los XX). Die Zeichen für Kunstverkäufe stehen in diesen Jahren allerdings mehr als schlecht und das Werk kommt unverkauft in die Sammlung Littmann zurück.
Dort befindet es sich wohl auch noch, als die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten im Jahr 1933 alles verändert. Als jüdischer Rechtsanwalt wird Dr. Ismar Littmann massiv verfolgt, bereits im Frühjahr 1933 sieht er sich seiner Existenzgrundlage beraubt. Im Herbst 1934 begeht Littmann tief verzweifelt Suizid. Zurück bleiben die Witwe und vier Kinder. Die Familie muss die verbliebene Kunstsammlung im Februar 1935 über das Auktionshaus Max Perl versteigern lassen. Auf diesem Weg gehen auch das Selbstbildnis von Wilhelm Schmid und das Gemälde von Paul Kleinschmidt der Familie Littmann verloren.
Im Jahr 2023 kommen nun alle drei Werke frei von Restitutionsansprüchen zum Aufruf. Gemeinsam mit Pechsteins "Ruhender" ergibt sich so die Chance, gleich vier Kunstwerke aus einer der bedeutendsten Sammlungen der Moderne wiedervereint zu sehen – eine seltene Gelegenheit für Kunstfreunde und Sammler unserer Tage.

Das vorliegende Aquarell erscheint in seiner Malweise konzentriert und flüchtig; Corinth arbeitet ohne Vorzeichnung und bringt die Farbe mit expressiven und losen Pinselstrichen auf das Papier. Corinth führt uns hier eine souveräne Malweise vor Augen, wie sie in den Folgejahren gerade für die Walchensee-Landschaften seines gefeierten Spätwerkes charakteristisch ist. Es entsteht eine intime Momentaufnahme, wobei Corinth einen flüchtigen Einblick in sein durch das Ende des Kaiserreiches politisch entwurzeltes Seelenbefinden gewährt. Die Selbstporträts des Künstlers zeigen eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Person, seiner Wahrnehmung als Künstler und seiner Rolle in der Gesellschaft. Corinth knüpft hierbei an eine kunsthistorisch bedeutende Bildtradition an, die sich in der Kunst der frühen Neuzeit verfestigt und zu deren prominentesten Beispielen die Selbstbildnisse Albrecht Dürers (1471–1528) oder Rembrandts (1606–1669) zählen. Es ist der Drang nach Selbstreflexion, nach dem "Sich als Künstler verstehen Wollen", der Künstler bis heute zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der eigenen Person antreibt. Corinths Selbstbildnisse liefern im 20. Jahrhundert einen weiteren kunsthistorisch bedeutenden Beitrag zu dieser Tradition, den die Hamburger Kunsthalle 2004 unter dem Titel "Ich. Lovis Corinth – die Selbstbildnisse" in einer eigenen Ausstellung würdigte.
Corinths Selbstbildnis gelangt spätestens 1930 in die Sammlung Littmann. Der Breslauer Rechtsanwalt ist ein ausgewiesener Kenner des Werks von Lovis Corinth. Über ein Dutzend Gemälde und fast 600 Grafiken des Malers finden sich in seiner Sammlung. Unter der Nummer 62 ist unsere Arbeit in das Inventar der Sammlung Littmann eingetragen. Ein Verkaufsversuch im März 1932 auf einer exquisit zusammengestellten, kleinen Kooperationsauktion des Auktionshauses Graupe mit dem renommierten Antiquar Hermann Ball scheitert jedoch, denn der Kunstmarkt ist in diesen Jahren wenig aufnahmefähig. Das Werk gelangt so zurück zu Ismar Littmann. Wann und unter welchen Umständen Dr. Ismar Littmann oder seine Erben, denen mit Glück die Flucht ins Ausland gelingt, sich von Corinths "Selbstbildnis" trennen müssen, bleibt ungewiss. Erst 1950 taucht das Werk in deutschem Privatbesitz wieder auf. Heute kann das bewegte Selbstbildnis mit der nicht minder bewegten Geschichte in bester Übereinstimmung mit den Erben nach Dr. Ismar Littmann angeboten werden. [JS/AT]



319
Lovis Corinth
Selbstbildnis, 1919.
Gouache
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 34.290

(inklusive Aufgeld)