Auktion: 535 / Evening Sale mit Sammlung Hermann Gerlinger am 09.12.2022 in München Lot 63

 

63
Georg Kolbe
Adagio, 1923.
Bronze mit goldbrauner Patina
Schätzung:
€ 80.000
Ergebnis:
€ 212.500

(inklusive Aufgeld)
Adagio. 1923.
Bronze mit goldbrauner Patina.
Berger 58. Verso am Sockel mit dem Monogramm. Laut Dr. Ursel Berger wohl einer der 15 Lebzeitgüsse. Ein Guss der Bildgießerei Hermann Noack, Berlin. 81 x 18,5 x 15 cm (31,8 x 7,2 x 5,9 in).

• "Adagio" trifft den Zeitgeschmack der "Goldenen 20er" und gehört zu Kolbes beliebtesten Figuren.
• Eine der wenigen Figuren Kolbes seiner expressionistischen Phase.
• Die Skulptur steht meisterhaft für Kolbes Anspruch dieser Zeit, sich der geschlossenen Form zugunsten der Konzentration des Ausdrucks zu verschreiben.
Adagio als musikalischer Begriff bedeutet "ruhevoll" und "langsam" – Kolbe übersetzt virtuos eine musikalische Stimmung in bildhauerische Formensprache.
• Weitere Exemplare befinden sich im The Art Institute of Chicago, in der Eremitage St. Petersburg und im Museum für Kunsthandwerk, Dresden
.

Mit einem schriftlichen Gutachten von Frau Dr. Ursel Berger vom 26. Oktober 2022.

PROVENIENZ: Privatsammlung (seit ca. 1970).
Seither in Familienbesitz.

LITERATUR: Georg Kolbe, 100 Lichtdrucktafeln, Marburg 1931 (anderes Exemplar).
Ludwig Justi, Georg Kolbe, Berlin 1931, Tafel 9 (anderes Exemplar).
Rudolf Binding, Vom Leben der Plastik. Inhalt und Schönheit des Werkes von Georg Kolbe, Berlin 1933, S. 50.
Günter Reinheckel, Kunsthandwerk und Industrieform, 100 Jahre Museum für Kunsthandwerk Dresden, 1876-1976, Dresden 1976, S. 151 (anderes Exemplar).
Carl Graepler, Marburger Universitätsmuseum für bildende Kunst, Fünfzig ausgestellte Werke der Plastik, Marburg 1986, S. 60 (anderes Exemplar).
Ursel Berger, Georg Kolbe 1877-1947, Ausst.-Kat. Georg Kolbe Museum, Berlin, 1998, S. 53 (m. Abb.).

"Heute entstehen meine Plastiken überhaupt nicht mehr vor der Natur […]. Ich bin dem Wesen des Plastischen näher gekommen, kann der Form an sich mehr Ausdruck geben."
Georg Kolbe, 1924

Mitte der 1920er Jahre ist Georg Kolbe auf dem Höhepunkt seines Schaffens angelangt. Das reife Werk dieser Zeit erfreut sich bis heute großer Popularität, auch wenn es von einigen seiner Zeitgenossen zunächst abgelehnt wurde. Das Symbolhafte, das in den Plastiken, die Georg Kolbe vor dem Ersten Weltkrieg schuf, weitestgehend fehlt, wird nun in ein Schaffen integriert, das in seiner sinnvollen Weiterentwicklung auch des formalen Ausdrucks an Gestalt gewinnt. Die in sich geschlossene Form wird zu Beginn der zwanziger Jahre von Georg Kolbe für eine kurze Zeit zum bestimmenden Faktor seiner Arbeiten. Die Plastiken dieser Zeit verkörpern dieses formale Wollen in einer vorher nie gekannten Einheit der körperlichen Geschlossenheit. Es ist ein gewisser Formalismus, der von Kolbe wohl bewusst verfolgt wurde, um den Ausdruck zu steigern. Er stieß damit bei vielen seiner Zeitgenossen jedoch auf Unverständnis; zu sehr waren die Sehgewohnheiten noch im plastischen Werk Georg Kolbes der Vorkriegszeit verwurzelt. Seine Frauenfiguren der 1920er Jahre verkörpern ein selbstbewusstes, eher androgynes Schönheitsideal im Gegensatz zur jugendlichen Zartheit seiner früheren Figuren. Das fast Androgyne der weiblichen Gestalten dient hier im positiven Sinne einer Konzentration des Ausdrucks. Die Bronzefigur "Adagio" ist ein besonders schönes Beispiel dieser Entwicklung. Die anmutig schlanke Frauengestalt baut sich in fast überlängten Proportionen nach oben auf, nur dezente Bewegungen, wie das leicht angewinkelte Bein, die schräge Haltung der Schulter und der geneigte Kopf sind in der Figur angelegt. "Adagio" vermittelt den Eindruck einer vollkommenen Innerlichkeit und statischer Ruhe, unterstrichen durch den ihr gegebenen Titel. Adagio als musikalischer Begriff bedeutet "ruhevoll" und "langsam". Die Formensprache ist stark, geprägt von klaren Linien und zackigen Formen, besonders in der Gestaltung der Gewandfalten fällt dies auf. Sie erinnern an Stilelemente des Art déco. Hier zeigt sich Kolbes Auseinandersetzung mit neuen künstlerischen Formen, die verstärkte Auseinandersetzung mit architektonischen Themen wie Raum und Proportion, Volumen und Leichtigkeit. Kolbe vermag es trotz der strenger wirkenden stilistischen Formen eine Frauengestalt von berührender Emphase zu modellieren, die in ihrem in sich versunkenen, fast kontemplativen Ausdruck zu einer der beliebtesten Schöpfungen des Künstlers wird. [SM]



63
Georg Kolbe
Adagio, 1923.
Bronze mit goldbrauner Patina
Schätzung:
€ 80.000
Ergebnis:
€ 212.500

(inklusive Aufgeld)