Auktion: 535 / Evening Sale mit Sammlung Hermann Gerlinger am 09.12.2022 in München Lot 3

 

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Stanley Whitney
N. O. 9th Ward, 2007.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 575.000

(inklusive Aufgeld)
N. O. 9th Ward. 2007.
Öl auf Leinwand.
Verso auf der Leinwand signiert, datiert "Feb. 2007", betitelt und mit zwei Richtungspfeilen sowie der Richtungsangabe "TOP" bezeichnet. 102 x 102 cm (40,1 x 40,1 in).
Im Verlauf dieses Jahres sind Stanley Whitneys Arbeiten u. a. in einer Nebenveranstaltung zur 59. Biennale in Venedig im Palazzo Tiepolo Passi zu sehen (Stanley Whitney. The Italian Paintings, bis 27. November 2022).
• Erstmals wird ein Gemälde des international erfolgreichen Künstlers auf dem deutschen Auktionsmarkt angeboten (Quelle: artprice.com).
• Vergleichbare Gemälde des Künstlers befinden sich u. a. in den Sammlungen des Metropolitan Museum und im Solomon R. Guggenheim Museum in New York
• 2017 nimmt Whitney an der documenta 14 in Kassel teil.
• Seit 2022 wird er von der renommierten Gagosian Gallery vertreten.
• 2024 zeigt das Buffalo AKG Art Museum in Buffalo, New York, eine erste umfassende Retrospektive
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PROVENIENZ: Christine König Galerie, Wien.
Privatsammlung Süddeutschland.

AUSSTELLUNG: Stanley Whitney. Bluetopic, Christine König Galerie, Wien, 30.3.-19.5.2007 (verso auf dem Keilrahmen mit dem Galerieetikett).

"And then there’s the music, you know? The music, for me, was always there, this kind of rhythm, getting rhythm, having rhythm. People find my paintings kind of odd, because of the rhythm. [..] The idea of having something be so still but have it be so rhythmic.“
Stanley Whitney in einem Gespräch mit Louise Neri 2020, Gagosian Gallery, www.youtube.com/watch?v=MpapjlTPmJE.

Lange Jahre wurde dem beeindruckenden künstlerischen Schaffen Stanley Whitneys erstaunlich wenig Aufmerksamkeit zuteil. Das ändert sich jedoch insbesondere nach seiner Teilnahme an der documenta 14 in Kassel im Jahr 2017. Danach sind seine Arbeiten u. a. in Einzelausstellungen im Modern Art Museum in Fort Worth (2017) und im Palazzo Tiepolo in Venedig zu sehen (2022). Für 2024 plant das Buffalo AKG Art Museum (vormals Albright-Knox Art Gallery) in Buffalo, New York, eine erste umfassende Retrospektive seiner Werke. Seit Kurzem wird Whitney von der renommierten Gagosian Gallery, New York, vertreten.

Der heute 76-jährige Künstler studiert in den 1960er und frühen 1970er Jahren zunächst am Kansas City Art Institute und an der Yale University, deren Institut für bildende Kunst in den 1950er Jahren bekanntlich unter der Leitung von Josef Albers stand, dessen Jahrzehnte überdauernde Beschäftigung mit der Farbwirkung von Quadraten in ihrer Hingabe wiederum durchaus der Arbeitsweise Stanley Whitneys ähnelt. Bereits seit den frühen 1990er Jahren widmet sich der Maler der disziplinierten, arbeitsintensiven Ausarbeitung einer ganz bestimmten formalen Komposition, seinen mittlerweile charakteristischen, immer wiederkehrenden Gitterstrukturen, die er nach und nach mit kräftigen, gesättigten, dicht aneinandergereihten Farbblöcken füllt. Zusätzlich werden die Leinwände stets von drei bis fünf horizontal verlaufenden Farbbändern strukturiert.

Es sind ebendiese Werke, die Whitney als den Beginn seines reifen Schaffens bezeichnet. Ausschlaggebend sind äußerst prägende Aufenthalte in Ägypten und Italien zu Beginn der 1990er Jahre, die den Aufbau seiner Gemälde und sein Denken über Struktur und Komposition sowie über das Verhältnis von Farbe und Geometrie nachhaltig verändern sollten. Whitney besichtigt die Pyramiden und besucht u. a. Neapel und Rom. Er studiert die besondere Architektur der historischen Gebäude, ihre Bauweise aus übereinandergestapelten Steinblöcken und auch Fassaden mit eng aufeinanderfolgenden Fenstern wie die des Palazzo Farnese (Abb.). Während der Künstler in seinen zuvor entstandenen Arbeiten zwischen den Farbfeldern noch gewisse Freiräume lässt und zum Teil noch gestische Elemente integriert, entstehen fortan Werke, in denen die nicht mehr gerundeten, sondern kantigen, quadratischen, aus leuchtenden, kräftigen Farben erzeugten Formen nun direkt aneinandergefügt werden: "The space is in the color“, erklärt Whitney (in einem Gespräch mit Louise Neri, Gagosian Quarterly (online), 10.4.2020).

Trotz der vorgegebenen Gitterstruktur ist Whitneys Malerei alles andere als starr und folgt keiner sie einengenden Ordnung. “The color makes the structure. [..] I wanted a system that allowed me to lay color down when I felt like it – I wanted nothing to get in my way. When I start these paintings I have no idea what it’s going to be. I don’t start with a sketch or an idea.“ (Stanley Whitney in einem Gespräch mit Arunda D'Souza, 30.5.2017, zit. nach: www.artnews.com/art-news/news/the-color-makes-the-structure-stanley-whitney-paints-
a-picture-8418/). So befreit der den Werken zugrunde liegende Aufbau Whitney in seiner Arbeitsweise sogar, der zudem ein ganz bestimmter Rhythmus, eine spürbare Dynamik inhärent ist. Von der linken oberen Ecke arbeitet er sich Farbblock für Farbblock und Reihe für Reihe bis nach rechts unten vor. "A color calls another color", erklärt der Künstler (in einem Gespräch mit Alteronce Gumby, Oral History Project, 21.4.2014., zit. nach: www.bombmagazine.org/articles/stanley-whitney/). So gibt jeder fertiggestellte Farbblock mit seiner Tonalität den darauffolgenden Farbblock vor: ein Prozess, den der Musik-Liebhaber Whitney mit dem "Call and Response"-Prinzip zwischen zwei solistischen Instrumenten im Jazz vergleicht. Auch seine Improvisation im Moment des Farbauftrags erinnert an Jazz-Musik, in der die Improvisation als eines der bestimmenden Elemente gilt. Auch der musikalische Begriff der Harmonie spielt eine große Rolle in Whitneys Werk, denn im Grunde sind es die Harmonie und die Disharmonie, das Zusammenwirken aufeinandertreffender, aneinandergrenzender Farbwerte, die seine Kompositionen bestimmen.

Whitneys Vorgehensweise ermöglicht den Betrachter:innen, seine Bilder zu lesen, das Werk in der zeitlichen Abfolge zu betrachten, in der es einst entstanden ist. "The idea is that all the color is equal and that one color doesn’t get in the way of another color, and that you have good transitions, so you can move through the painting pretty easily.“ (Ebd.) Es entsteht ein malerisches Quilt, ein quadratisches, aus kleineren Farbfeldern zusammengesetztes, spannungsvolles Ganzes von einnehmender Rhythmik und Melodie, das mit seiner gar synästhetischen Energie nicht nur einen Sinn der Betrachter:innen anspricht: "You are fixed in place as the painting dances around you", hat eine Journalistin über Whitney’s Werke einmal geschrieben (Arunda D’Souza für www.artnews.com, 30.5.2017). Nach den revolutionären Arbeiten des amerikanischen Color Field Painting der 1940er und 1950er Jahre gelingt es Whitney mit seinen einnehmenden, im Grunde einfach konstruierten und doch so komplizierten Farbkompositionen der abstrakten Malerei des 21. Jahrhunderts neue Energie, neues Leben einzuhauchen. [CH]



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Stanley Whitney
N. O. 9th Ward, 2007.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 575.000

(inklusive Aufgeld)