Auktion: 530 / Evening Sale / Sammlung Hermann Gerlinger am 10.06.2022 in München Lot 61

 

61
Karl Hartung
Die Maske, Um 1948/49.
Bronze mit dunkelbrauner, fast schwarzer Patina
Schätzung:
€ 35.000
Ergebnis:
€ 43.750

(inklusive Aufgeld)
Die Maske. Um 1948/49.
Bronze mit dunkelbrauner, fast schwarzer Patina.
Krause 413. Lebzeitguss. Eines von 6 + 1 Exemplaren. Höhe: 35 cm (13,7 in).

• Lebzeitguss.
• 1952 war der Gips dieser Arbeit Teil der Retrospektive im Haus am Waldsee, Berlin.
• Gehört zu den um 1949 entstandenen Arbeiten, in denen Hartung zu einer ganz eigenen, freien und von der Figuration gänzlich losgelösten Formensprache findet.
• Vergleichbare Arbeiten des Künstlers aus der Zeit um 1950 befinden sich u. a. in den Sammlungen der Hamburger Kunsthalle und des Folkwang Museums, Essen
.

Wir danken dem Nachlass Karl Hartung für die wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ:
Aus dem Nachlass des Künstlers (auf der Standfläche mit dem Nachlassstempel).

AUSSTELLUNG:
Berliner Künstler. Malerei, Grafik, Plastik, Münsterschule Bonn, 27.7.-27.8.1950, Kat.-Nr. 24.
Karl Hartung, Haus am Waldsee, Berlin, 2.9.-12.10.1952, Kat.-Nr. 42.

LITERATUR:
Markus Krause, Karl Hartung 1908-1967. Metamorphosen von Mensch und Natur (Monographie und Werkverzeichnis), München 1998, S. 226, Kat.-Nr. 413 (m. Abb. u. m. ganzs. Abb., S. 120).

"Wenn die Plastik durchlöchert wird und den Raum einbezieht, so bedeutet dies gewiss ein besonderes Verhalten und vielleicht die Sehnsucht nach Transzendenz."
Karl Hartung, 1963, in: Ausst.-Kat. Karl Hartung. Werke und Dokumente, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 1998, S. 91.

Ab den 1930er Jahren durchläuft Karl Hartungs künstlerisches Schaffen einen Wandel, eine Abkehr von der naturalistischen und realistischen deutschen Bildhauerei. Er unterzieht seine figürlichen Werke einer stärkeren Abstrahierung und schafft auch einige gänzlich abstrakte Arbeiten. Die Entwürfe zu der hier angebotenen Arbeit entstehen Ende der 1940er Jahre, als Hartung sich zunächst einem Werkkomplex liegender weiblicher Akte und anschließend seinen "Vegetativen-", "Freien-" und "Organischen Formen" widmet. Die menschliche, vornehmlich weibliche Figur, ihre Formen und ihre Physiognomie bleibt eines der großen, allumfassenden Themen seines Œuvres, doch die radikale Reduktion und der hohe Grad an Abstraktion einiger seiner Werke ist zu diesem Zeitpunkt außergewöhnlich.

Auch in der hier angebotenen dunkelbraun, fast schwarz patinierten Bronze finden sich einzelne Andeutungen menschlicher Gesichtszüge, das Nachempfinden der Natur hat Hartung jedoch auf ihre abstrahierten Formen reduziert: Unten suggeriert eine feine Ausbuchtung das Kinn, das in einen halsähnlichen Standfuß übergeht, und die versetzt eingefügten Löcher bilden die Augen, durch die der Blick der Betrachter:innen auf die dahinterliegenden Räumlichkeiten fallen kann. Die beiden 'Augen' unterbrechen somit nicht nur die Gleichmäßigkeit der Fläche, sondern beziehen den umliegenden Raum in die Betrachtung des Objekts ein. Hartung nennt es "das Unsichtbare sichtbar machen und das Sichtbare durchsichtig. Wenn die Plastik durchlöchert wird und den Raum einbezieht, so bedeutet dies gewiss ein besonderes Verhalten und vielleicht die Sehnsucht nach Transzendenz." (Karl Hartung, 1963, in: Ausst.-Kat. Karl Hartung. Werke und Dokumente, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 1998, S. 91, zit. nach: Karl Hartung. Leben und Werk, www.welt-der-form.net).

Mit der spannungsreichen Asymmetrie, der glatten Oberfläche, den abgerundeten Kanten und weichen, sanft geschwungenen Linien stellt Hartung insbesondere Form, Materialästhetik und Betrachtungsperspektiven in den Vordergrund seines Schaffens. Es entsteht ein ausgewogenes, elegantes Wechselspiel aus glatt-geschmeidiger Oberfläche, bewusst gesetzten Öffnungen in den Raum und weich modulierten, stark gerundeten Formen, womit der Künstler hier zu einer universal gültigen, von der menschlichen Physiognomie abstrahierten und enthobenen Form von zeitloser Schönheit gelangt.

Mit der Entwicklung dieser ganz persönlichen Abstraktion und Formensprache etabliert sich Karl Hartung neben zeitgenössischen Größen wie beispielsweise Barbara Hepworth und Henry Moore in Großbritannien als bedeutender Vertreter der europäischen Bildhauerei im 20. Jahrhundert. In den darauffolgenden 1950er Jahren befindet er sich auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere. 1950 erhält er eine Professur für Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. 1952 und 1953 ehren ihn das Haus am Waldsee in Berlin und die Kestner-Gesellschaft in Hannover mit groß angelegten Retrospektiven. Mit seinen Arbeiten ist Hartung 1955, 1959 und 1964 auf der documenta in Kassel vertreten und beweist damit einmal mehr seine damalige Position als Wegbereiter der modernen Kunst in der deutschen Nachkriegszeit. [CH]



61
Karl Hartung
Die Maske, Um 1948/49.
Bronze mit dunkelbrauner, fast schwarzer Patina
Schätzung:
€ 35.000
Ergebnis:
€ 43.750

(inklusive Aufgeld)