Auktion: 530 / Evening Sale / Sammlung Hermann Gerlinger am 10.06.2022 in München Lot 21

 

21
Ernst Ludwig Kirchner
Selbstbildnis mit Modell, 1910.
Farbige Kreidezeichnung
Schätzung:
€ 200.000
Ergebnis:
€ 525.000

(inklusive Aufgeld)
Selbstbildnis mit Modell. 1910.
Farbige Kreidezeichnung.
Rechts unten signiert. Verso betitelt "Maler und Modell". Dort mit dem Nachlassstempel des Kunstmuseums Basel (Lugt 1570 b) und der handschriftlichen Nummerierung "FS Dre/Bi 7". Auf festem, bräunlichem Karton. 59,8 x 49,1 cm (23,5 x 19,3 in), blattgroß. [CH].

• Besonders ausgearbeitetes und farbintensives Selbstporträt aus der besten "Brücke"-Zeit.
• In dieser Größe, Qualität und Farbigkeit von allergrößter Seltenheit und musealer Qualität.
• Selbstbewusste Inszenierung als Maler-Genie des deutschen Expressionismus.
• Dieses Werk zeigt die unmittelbare, deutlich ursprünglichere und freiere Bildidee als das nachträglich überarbeitete Gemälde in der Sammlung der Hamburger Kunsthalle (Gordon 121, 1910/1926).
• 1991 für das Cover des Ausstellungskatalogs sowie für das Ausstellungsplakat der umfassenden Kirchner-Retrospektive in der Kunsthalle Nürnberg ausgewählt
.

Das vorliegende Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv, Wichtrach/Bern, dokumentiert.

PROVENIENZ:
Nachlass des Künstlers (Davos 1938, Kunstmuseum Basel 1946).
Galerie Grosshennig, Düsseldorf (1982).
Sammlung Hermann Gerlinger, Würzburg (mit dem Sammlerstempel Lugt 6032).

AUSSTELLUNG:
Ernst Ludwig Kirchner 1880-1938, Nationalgalerie Berlin, 29.11.1979-20.1.1980; Haus der Kunst, München, 9.2.-13.4.1980; Museum Ludwig, Köln, 26.4.-8.6.1980; Kunsthaus Zürich, 20.6.-10.8.1980, Kat.-Nr. 80 (m. Abb., S. 137).
Ernst Ludwig Kirchner. Zeichnung, Aquarelle, Pastelle, Kunsthalle Nürnberg, 20.6.-29.9.1991, Kat.-Nr. 25 (m. Abb.).
Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schloss Gottorf, Schleswig (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 1995-2001).
Ernst Ludwig Kirchner. Selbstbildnisse, Kirchner Museum, Davos, 13.7.-12.10.1997, Kat.-Nr. 8.
Ernst Ludwig Kirchner. Farbige Werke auf Papier, Kunstmuseum Bonn, 20.5.-1.8.1999, Kat.-Nr. 38.
Frauen in Kunst und Leben der "Brücke", Schleswig-Holsteinische Landesmuseen, Schloss Gottorf, Schleswig, 10.9.-5.11.2000, Kat.-Nr. 49.
Die Brücke in Dresden 1905-1911, Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 20.10.2001-6.1.2002, Kat.-Nr. 246 (m. Farbabb.).
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001-2017).
Das andere Ich. Porträts 1900-1950 (Aus den Sammlungen der Staatlichen Galerie Moritzburg, Halle, und der Sammlung Hermann Gerlinger), Staatliche Galerie Moritzburg, Halle (Saale), 6.4.-15.6.2003, Kat.-Nr. 129.
Expressiv! Die Künstler der Brücke. Die Sammlung Hermann Gerlinger, Albertina, Wien, 1.6.-26.8.2007, Kat.-Nr. 142, S. 224 (m. Abb., S. 225).
Kirchner, Hubertus-Wald-Forum in der Hamburger Kunsthalle, Hamburg, 7.10.2010-16.1.2011, Kat.-Nr. 141 (m. Abb., S. 120).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).

LITERATUR:
Lucius Grisebach, Ernst Ludwig Kirchner 1880-1938, Köln 1995, S. 44 (m. Abb.)
Heinz Spielmann (Hrsg.), Sammlung Hermann Gerlinger, Stuttgart 1995, S. 149f., SHG-Nr. 144 (m. Abb., S. 150).
Hermann Gerlinger, Katja Schneider (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Bestandskatalog Sammlung Hermann Gerlinger, Halle 2005, S. 312, SHG-Nr. 709 (m. Abb., S. 313).
Brückenschlag: Gerlinger - Buchheim! Museumsführer durch die "Brücke"-Sammlungen von Hermann Gerlinger und Lothar-Günther Buchheim, Feldafing 2017, S. 132 (m. Abb., S. 133).

Am 1. November 1909 zieht Kirchner in Dresden in einen anderen Laden als Wohnquartier um, einige Häuser weiter, in die Berliner Straße 80. Begeistert schreibt er am 2. November eine Postkarte an seinen Freund Erich Heckel in Dangast: "Bin glücklich Berlinerstr 80 part." Dort entstehen wieder künstlerisch ausgestaltete Räumlichkeiten, Atelier und Wohnung zugleich, die als zentrales Zeugnis seiner Kunst und seiner Lebenshaltung in Kirchners Motivgeschichte eingehen. An vielen Bildern und Zeichnungen der Dresdner Jahre bis in den späteren Herbst 1911 kann man verfolgen, wie sich die Inneneinrichtung immer mehr vervollständigt, wie neue Skulpturen und Möbel, textile Wandgestaltungen hinzukommen. So ist diese Atelierwohnung nicht nur die Werkstatt, in der der Künstler seine Motive findet, sondern auch die Welt, in der er lebt und arbeitet. So wie das Leben, das der Künstler mit seinen Freunden und Gefährtinnen in dieser Wohnung führt, in die Kunst eingeht, wirkt die Kunst, mit der er die Wohnung ausgestaltet, auf das Leben zurück. In diesem Zusammenhang erscheint dieses Motiv, das den Künstler selbst im farbenprächtigen Morgenmantel zeigt, als herausragend. Nicht nur, dass Kirchner diese Kreidezeichnung sogleich in ein Gemälde überträgt, welches er 1926 im schweizerischen Frauenkirch nach der Rückkehr von einer Reise nach Deutschland, nach Chemnitz, Dresden und Berlin, übermalt. Er mimt hier zudem die ikonografische Inszenierung bekannter Malerfürsten wie etwa Diego Velázquez in dessen Gemälde "Las Meninas" aus dem Jahr 1656 an der Staffelei. Das höfische Treiben hinter Velázquez reduziert Kirchner auf die Situation in seinem Atelier, in dem seine Lebensgefährtin Dodo (Doris Grosse) dem Treiben ihres Freundes beiwohnt. Im locker vorgetragenen Pastell steht der Künstler in seinem prächtigen Morgenrock und ohne besondere Attribute im Vordergrund. Im Gemälde hält er Pinsel und Palette in den Händen und weist sich so als – Pfeife rauchender – Maler aus. Damit wird die Frau, die als die Geliebte hinter ihm auf dem Bett sitzt, zugleich zur Verkörperung der Kunst, vor der sich sein Leben entscheidet, über deren Leben er in Zeichnungen, in Bildern berichtet. [MvL]



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Ernst Ludwig Kirchner
Selbstbildnis mit Modell, 1910.
Farbige Kreidezeichnung
Schätzung:
€ 200.000
Ergebnis:
€ 525.000

(inklusive Aufgeld)