Auktion: 518 / Kunst des 19. Jahrhunderts am 17.06.2021 in München Lot 62

 

62
Heinrich Vogeler
Birken am Barkenhoff, 1913.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 15.000
Ergebnis:
€ 32.500

(inkl. Käuferaufgeld)
Birken am Barkenhoff. 1913.
Öl auf Malpappe.
Noltenius 150 (Hügel mit weißen Birken). Links unten bezeichnet "H [Wappen] V" und datiert. 54,5 x 42 cm (21,4 x 16,5 in).

PROVENIENZ: Privatbesitz Nordrhein-Westfalen (1913 direkt vom Künstler erworben, seither in Familienbesitz).

AUSSTELLUNG: Heinrich Vogeler. Kunstwerke, Gebrauchsgegenstände, Dokumente, Staatliche Kunsthalle Berlin / Kunstverein Hamburg 1983, Kat.-Nr. 555, S. 278 (Nachtrag).

Der Barkenhoff ist die durch mehrere Umbauten nach der Vorstellung Heinrich Vogelers als Gesamtkunstwerk gestaltete Wohn- und Wirkunsstätte des Künstlers. Als jüngster und letzter Künstler schließt er sich 1894 der Malerkolonie in Worpswede an, zu deren ersten Mitgliedern sein Studienkollege aus Düsseldorfer Akademiezeiten, Fritz Overbeck, gehört. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Malern Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto Modersohn, die sich seit 1889 in Worpswede aufhalten, erwirbt Vogeler 1895 ein kleines reetgedecktes Haus, das er nach und nach mit architektonischen Elementen von Jugendstil und Biedermeier seinen Idealvorstellungen anpasst. Nach dem angrenzen kleinen Birkenwald erhält das idyllisch am Weyerberg gelegene Haus seinen Namen „Barkenhoff“ und wird zum künstlerischen und gesellschaftlichen Mittelpunkt der Kolonie. Lichterfüllt, durchlässig für Atmosphäre und Luft und malerisch umgeben von einem mit lyrischem Zauber erfüllten Garten, darin ein kleiner Teich mit baumbestandener Insel, empfängt der „Weiße Saal“ Künstler, Schriftsteller, Musiker und Intellektuelle. Gäste und Freunde Vogelers wie Rainer Maria Rilke, Clara Rilke-Westhoff, Hans Bethge, Carl und Gerhard Hauptmann oder Max Reinhardt lassen das Idealprojekt eines Musenhofes für einige Zeit Realität werden. Vogeler selbst begreift den Barkenhoff als Ort seiner Seele, in zahlreichen Radierungen, Gemälden und Zeichnungen wird seine Identifikation mit dem birkenumstandenen Haus künstlerisch sichtbar. Eine ähnliche Verschmelzung von Idealvorstellung und Realität, Kunst und Leben prägt auch den Blick auf seine Frau Martha Schröder. Kurz nach seiner Ankunft in Worpswede, beim Malen mit den andern Künstlern auf dem Weyerberg, da „… kam aus dem Eichengebüsch ein hellgekleidetes, schlankes blondes Mädchen mit hängendem Zopf. Auf der Hand trug sie eine zahme Elster. [.] Der Eindruck dieser jungen elastischen Mädchengestalt wirkte auf mich wie etwas tief in mein Leben eingreifendes.“ (zit. nach Heinrich Vogeler, Werden. Erinnerungen, Berlin 1989, S. 32). Ihre schlanke helle Schönheit und melancholische Zartheit verschmilzt für Vogeler mit der der Birken, den jungen, frühlingshaft zarten Bäumen. Der unbeholfene junge Mann nähert sich ihr in der Folge malerisch mit Porträts und lyrischen Szenen, immer wieder positioniert er sie zwischen den schlanken Birken der Moorlandschaft. Für Paula Modersohn-Becker, mit der ihn eine tiefe Freundschaft verbindet, ist es im Gemälde „Frühling“ von 1897 (Haus im Schluh, Worpswede) berührend zu sehen „[…] wie dieser junge Kerl seine drängenden Frühlingsträume in diese gemessene Form kleidet“, in seinem symbolhaften „Frühlingsbild, Birken, zarte junge Birken mit einem Mädchen dazwischen, die Frühling träumt.“ (zit. nach Paula Modersohn-Becker, Briefe und Tagebuchblätter, hrsg. von S.D.Gallwitz, Berlin 1920, S. 24). Auch Rainer Maria Rilke, den Vogeler 1898 in Florenz kennengelernt hatte und mit dem er die Verehrung für die Kunst der Renaissance, vor allem Sandro Botticellis, teilt, spürt die Symbolkraft dieser Jahreszeit, die so zentral ist für das Wiedererwachen der Liebe und der Künste: „Eine keusche Kühle ist in ihren Madonnen und die herbe Kraft junger Bäume in ihren Heiligen. Die Linien sind alle wie Ranken, die irgendetwas Heiliges umschließen, und die Gesten der Gestalten sind zögernd, lauschend, einer zögernden Erwartung voll – sie sind alle von der Sehnsucht geweiht“ (Rainer Maria Rilke, Das Florenzer Tagebuch, Frankfurt a.M. 1982, S. 54). In ähnlich naturlyrischem Ausdruck verfasst Rilke wenig später auch den Weihespruch, den Vogeler am Nordgiebel des Barkenhoffs anbringen lässt.
Seit Beginn seiner Worpsweder Zeit beeindrucken die Landschaften Otto Modersohns den jungen, schwärmerischen Vogeler mit ihrem „smaragdgrünen, blumigen Frühling der Wiesen und die weißen Birkenstämme im Moor“ (zit. nach Heinrich Vogeler, Werden. Erinnerungen, Berlin 1989, S. 30) - eine Farbstimmung die sich in der bräunlich-violetten und zugleich türkisgrünen, facettenreichen impressionistischen Farbigkeit unseres Bildes gehalten hat. Im sonst eher märchenhaft-erzählerischen Werk Vogelers sieht man sich nunmehr dem beredten Schweigen der Birkenstämme gegenüber. Aufeinander zuwachsend und wieder auseinanderweichend scheinen die Stämme als Metapher des gescheiterten Liebesideals zu figurieren.1909 hatte sich Martha in den Jurastudenten Ludwig Bäumer verliebt. Qualvolle Jahre beginnen für Vogeler, der zunächst versucht, eine ménage à trois zu erdulden, während sich das Paar mehr und mehr entfremdet. 1914 bedeutet nicht nur das endgültige Scheitern der Ehe mit Martha ein tragisches „Ende der Romantik“ (Vogeler, Werden, S. 215). [KT]



62
Heinrich Vogeler
Birken am Barkenhoff, 1913.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 15.000
Ergebnis:
€ 32.500

(inkl. Käuferaufgeld)