Auktion: 508 / Kunst des 19. Jahrhunderts am 12.12.2020 in München Lot 338

 

338
Carl Schuch
Blick auf den Hochkalter am Hintersee, 1882/83.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 4.000
Ergebnis:
€ 18.750

(inkl. Käuferaufgeld)
Blick auf den Hochkalter am Hintersee. 1882/83.
Öl auf Leinwand.
Verso auf der Leinwand mit Signaturfaksimile sowie bezeichnet "Nachlass 78" und "Hintersee 1873 / K. Schuch pinx. / quod testat / K. Hagemeister". Verso auf dem Keilrahmen bezeichnet "1873 Hochkalter am Hintersee Gebirgslandschaft Schulte" sowie handschriftlich nummeriert. 55,5 x 66,5 cm (21,8 x 26,1 in).

PROVENIENZ: Nachlass Carl Schuch.
Kunsthandlung Eduard Schulte, Berlin (verso auf der Leinwand mit dem Stempel).
Privatsammlung Süddeutschland.

AUSSTELLUNG: Galerie Eduard Schulte, Berlin, 28.9.-31.10.1912, Nr. 5 ("Motiv vom Hochkalter").
Carl Schuch 1846-1903, Ausst.-Kat. hrsg. von Gottfried Boehm, Roland Dorn und Franz A. Morat, Städtische Kunsthalle, Mannheim, 8.3.-19.5.1986, und Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 11.6.-11.8.1986, S. 248f., Nr. 71 (mit Farbabb.).

LITERATUR: Rudolf Migacz, Carl Schuch als Landschaftsmaler, Diss. Wien 1973, Nr. 27 [?].

Seit sich der Münchner Landschaftsmaler Albert Zimmermann in den 1870er Jahren dort aufgehalten hatte, ist der Hintersee bei Berchtesgaden zum beliebten Studienplatz geworden. Hier treffen Carl Schuch und Karl Hagemeister in der Sommerfrische beim Malen 1873 ein erstes Mal zusammen. Immer wieder kehrt Schuch neben Aufenthalten bei Hagemeister in Ferch auch an diesen Ort zurück, um sich dort auf die Suche nach landschaftlich reizvollen Motiven zu machen, so auch 1882 und 1883 - der Zeit, in der unser Bild wahrscheinlich datiert. Hatte Schuch noch zu Beginn der 1870er Jahre einen feinmalerisch geschulten und akademisch-komponierten Stil verfolgt, ist in unserem Bild bereits ein durch seine Erfahrungen in der Freilichtmalerei unmittelbar vor dem Motiv geprägter breiterer Duktus zu erkennen. In seiner permanenten Reflexion über Ausdrucksvermögen und bildnerische Problematiken der Landschaftsmalerei sucht er nach reduzierten Eindrücken, in denen er sich ganz mit Farbe, Form und Komposition auseinandersetzen kann. Dies ist einer der Gründe, weshalb er immer wieder zu denselben Orten zurückkehrt, die er als bildnerisches Problem begreift, immer wieder bearbeitet und zu lösen versucht. Aus Italien schreibt Schuch bereits 1879 in künstlerischer Sehnsucht an Hagemeister: „Ich bin noch immer auf der Suche! Ich bin so unglücklich wie ein Jüngling, der mit heißem Sehnen das Ideal einer Geliebten sucht und nicht findet. Ich sage dir - für Gebirg - wer ein Auge für Farbe hat - ist der Hintersee ein einziger Studienplatz - die leuchtenden Kalkwände, die seichten Seestellen mit den Steinen, der farbige Bach endlich, du findest seinesgleichen schwer.“ (zit. nach: Karl Hagemeister, Karl Schuch, Berlin 1913, S. 91). Ab den 1880er Jahren entschließt sich Schuch, eine „Palette ohne Asphalt“, d. h. ohne Schwarz, zu nutzen und dunkle Partien nur noch aus Farben wie Grün, Blau und Brauntönen zu modellieren, was seiner Konzeption der Landschaft in Massen und Flächen entgegenkommt: „Die Landschaft hat den großen Vorteil, dass uns das peinliche Ausführen, das beim Stillleben so wichtig ist, nicht hindert, besonders bei großen Bildern, die halb vollendet aussehen. Das einzig auszuführende ist mir in der Landschaft die Farbe.“ (ebd., S. 104). Damit wendet er sich auch gegen die akademisch geforderte „Geschicklichkeit“ als feinmalerisches Virtuosentum, dem seine Auffassung einer durch die Malerei Wilhelm Leibls und Gustave Courbets originären temperamentvollen Handschrift unvereinbar gegenübersteht. Eine Reise nach Marseille und Nizza und die erneute Begegnung mit Werken von Charles-François Daubigny und Gustave Courbet bestärken ihn in diesem Weg, die Malerei nicht als Abbilden, sondern als Nachbilden zu verstehen und dem Konzept des Realismus dieser Künstler zu folgen. Bereits seine Erfahrungen mit dem Leibl-Kreis stellen die Weichen für die Suche nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit im Verhältnis der malerischen Mittel zur Natur, bei der die künstlerische Autonomie Vorrang über ihre darstellende Funktion erlangt. Laut Hagemeister entstehen 1882 nur wenige Arbeiten. Das Jahr markiert für Schuch eine Phase der Rückbesinnung und Neuorientierung: Sein Mietvertrag in Venedig endet, er reist über Wien im Sommer an den Hintersee, wo er in Ruhe und Abgeschiedenheit vorhat zu arbeiten. Im Herbst des Jahres siedelt er nach Paris über, nicht ohne den nächsten Sommer 1883 erneut dorthin zurückzukehren. Von hier schreibt er an Hagemeister: „Ich möchte am liebsten gar nichts, weder Impressionismus noch Leibl, weder Daubigny noch Millet, ich möchte treu und ehrlich sein können und nicht ein Verhältnis zur Natur wie Troyon oder X oder Y, sondern wie ich selbst, wenn ich‘s könnte.“ (ebd., S. 145). Die Suche nach einem unmittelbaren Zugang zur Essenz der Landschaft, wahrgenommen mit dem „unschuldigen Auge“ des wahren Künstlers, macht die Faszination des ungemein selbstreflexiven und damit der Moderne zugehörigen Schaffens von Carl Schuch aus. [KT]



338
Carl Schuch
Blick auf den Hochkalter am Hintersee, 1882/83.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 4.000
Ergebnis:
€ 18.750

(inkl. Käuferaufgeld)