Auktion: 512 / Klassische Moderne II am 12.12.2020 in München Lot 408

 

408
Ernst Ludwig Kirchner
Sertigtal im Winter, Um 1924/25.
Aquarell über Bleistift
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 206.250

(inkl. Käuferaufgeld)
Sertigtal im Winter. Um 1924/25.
Aquarell über Bleistift.
Rechts unten signiert. Auf festem, chamoisfarbenem Papier. 49,5 x 33,2 cm (19,4 x 13 in), blattgroß.

• Faszinierende Komposition, die Kirchners zeichnerische und koloristische Meisterschaft belegt.
• In der Einsamkeit von Kirchners letztem Rückzugsort, dem "Haus am Wildboden", im Sertigtal bei Davos entstanden, wo Kirchner 1938 den Freitod wählt.
• 1924 entstehen der motivisch sehr ähnliche und seltene Holzschnitt "Sertigstrasse im Winter" sowie das Gemälde "Sertigweg im Sommer".
• Bereits in den 1940er Jahren in der Buchholz Gallery, New York, ausgestellt und dann in der Sammlung von Richard S. Davis, dem späteren Kurator des Minneapolis Institute of Art.
• Seit den 1990er Jahren regelmäßig auf musealen Kirchner-Ausstellungen vertreten.
• Seit 1977 Teil einer norddeutschen Privatsammlung und seither erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt
.

Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv, Wichtrach/Bern dokumentiert.

PROVENIENZ: Buchholz Gallery, New York (1937, auf der Rahmenrückpappe mit dem Etikett).
Sammlung Richard S. Davis, USA (um 1945; wohl vom Vorgenannten erworben).
Valentin Gallery, New York (nach 1951, auf der Rahmenrückpappe mit dem Etikett).
Wohl Privatsammlung Süddeutschland (vor 1956 bis 1977).
Privatsammlung Norddeutschland (seit 1977, Galerie Wolfgang Ketterer, 24.5.1977).

AUSSTELLUNG: Fogg Art Museum, Cambridge (wohl um 1945; Leihgabe aus der Sammlung Richard S. Davis (auf der Rahmenrückpappe mit dem Etikett)).
The Institute of Modern Art, Boston (heute: The Institute of Contemporary Art, Leihgabe aus der Sammlung Richard S. Davis (auf der Rahmenrückpappe mit dem Etikett)).
Ernst Ludwig Kirchner. Gemälde, Aquarelle, Handzeichnungen, farbige Graphik, Stuttgarter Kunstkabinett, Stuttgart 1953, Kat. Nr. 30, ohne Abb. (dort unter "Sonnebeschienener Abhang im Winter").
E. L. Kirchner 1880-1938. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik. Zur Erinnerung an den 75. Geburtstag des Künstlers, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart 1956, Kat. Nr. 55.
Ernst Ludwig Kirchner, Aquarelle und Zeichnungen, Museum der Bildenden Künste, Leipzig / Von der Heydt-Museum, Wuppertal, 1992/93, Kat. Nr. 19, mit Abb. (hier "1920" datiert).
Aquarelle der „Brücke“, Brücke-Museum, Berlin 1995/96, Kat.-Nr. 28, mit Abb. (hier "um 1920" datiert).
Im Zentrum: Ernst Ludwig Kirchner, Hamburger Kunsthalle, Hamburg / Kirchner Museum, Davos / Brücke-Museum, Berlin, 2001-2003, Hamburg 2001, Kat. Nr. 82, mit Abb. S. 83 (auf der Rahmenrückpappe mit dem Etikett der Hamburger Kunsthalle).
Kirchner, Hamburger Kunsthalle, Hamburg, 7.10.2010-16.1.2011, Kat.-Nr. 180, mit ganzs. Abb. S. 187.

LITERATUR: Galerie Wolfgang Ketterer, München, 24.5.1977, Kat.-Nr. 1039, mit Abb.
"Hier ist es gewiss schön und ruhig, aber ein Fremder wird man immer bleiben, aber drüben [Fehmarn] ist man das ja auch. Es ist nur ein Gefühl, was einen manchmal erfasst, dass man sich einbildet, man gehöre dahin. Ist man da, so sieht man, [..] daß das Fremdsein nicht vom Lande abhängt, sondern im eigenen Inneren sitzt."
E. L. Kirchner, Davos, 10. Dezember 1924.

Kirchners zeichnerische und koloristische Meisterschaft zeigt sich in "Sertigtal im Winter" in beeindruckender Weise. In unnachahmlich sicherem Strich hat er die vertrauten Umrisse der nahen Schweizer Bergwelt aufs Papier gesetzt. Sicher und mit spielerischer Leichtigkeit integriert Kirchner hier das stehengelassene Weiß des Papiers in seine winterliche Komposition. Es sind die Schneemassen auf den Bergen und auf den Wiesen, die Kirchner auf diese Weise für eine Art malerisches Negativverfahren nutzt. 1923 ist Ernst Ludwig Kirchner zusammen mit Erna Schilling in das "Haus auf dem Wildboden" am Eingang zum Sertigtal bei Davos gezogen, wo Kirchner bis zu seinem Freitod im Jahr 1938 lebt. Dort wo Kirchner zurückgezogen in der Einsamkeit der Schweizer Bergwelt im Anschluss an seine zahlreichen Sanatoriumsaufenthalte seine neue Heimat sucht, ist unser faszinierendes Aquarell entstanden. Kirchner, der seit dem Ersten Welkriege an diversen Ängsten leidet und von Veronal und Morphium abhängig ist, sollte das beruhigende Bergpanorama ursprünglich als geeigneter Ort für eine Entziehunsgkur dienen. Während seine nervösen Zustände und Ängste jedoch bleiben, nutzt er die abgeschiedene, schroffe Bergwelt als reizvolle Inspirationsquelle. Und so hat Kirchner in dieser psychisch extremen Lebensphase gerade auch im Bereich der Zeichnung und Druckgrafik Hauptwerke von beeindruckender Stärke hinterlassen. Auch unser Aquarell begeistert durch den charakteristischen, expressiv-nervösen Strich, mit dem Kirchner die Tannen, das Haus und den Pferdeschlitten ins Bild setzt. Kirchner hat den für ihn alltäglichen Blick ins Tal aus gleicher Perspektive auch in dem seltenen Holzschnitt "Sertigstrasse im Winter" festgehalten, den der Künstler in einem Brief an Gustav Schiefler auf das Jahr 1924 datiert. Im selben Jahr hat er auch das motivisch ähnliche Gemälde "Sertigweg im Sommer" geschaffen, das zuletzt 2016 in Zürich für 1,4 Millionen Schweizer Franken den Besitzer wechselte. [JS]



408
Ernst Ludwig Kirchner
Sertigtal im Winter, Um 1924/25.
Aquarell über Bleistift
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 206.250

(inkl. Käuferaufgeld)