Auktion: 518 / Kunst des 19. Jahrhunderts am 17.06.2021 in München Lot 60

 

60
Walter Leistikow
Garten in Grünheide, 1905.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 33.750

(inkl. Käuferaufgeld)
Garten in Grünheide. 1905.
Öl auf Leinwand.
Rechts unten signiert und datiert. Verso auf dem Keilrahmen handschriftlich nummeriert sowie mit altem fragmentarischen Etikett. 74 x 93 cm (29,1 x 36,6 in).

• Charakteristisches Seen-Motiv aus dem Spätwerk Leistikows.
• Historisch faszinierende Provenienz.
• Entstanden nach der Rückkehr zu einer impressionistisch beeinflussten Malweise.
• Leistikow gilt als Wegbereiter der Moderne im Berliner Ausstellungsbetrieb, u. a. als Mitbegründer der Berliner Secession 1898.
• Besonders stimmungsvolle Farbharmonie der gedämpften, ruhigen Grün- und Blautöne im Werk Leistikows
.

PROVENIENZ: Sammlung Albrecht Guttmann, Berlin (spätestens ab 1909-1917, Cassirer/Helbing 18.5.1917).
Sammlung Leopold Feig, Berlin (1917 vom Vorgenannten erworben, nach 1917 nicht mehr bei Leopold Feig oder seinen Nachfahren nachweisbar).
Galerie an der Wagmüllerstraße, München (Jakob Scheidwimmer, lt. Rechnung vom 9.1.1942).
Sammlung Reichsleiter Martin Bormann (1942 Erwerb vom Vorgenannten zu Ausstattungszwecken des Schlosses Posen. Verso mit der Nummer „P 5/I“).
Altaussee, Depot (im CCP vergebene Zugangsnummer Altaussee: 8316).
Central Collecting Point, München (1945-1949, verso mit der München-Nr. 13496).
Ministerpräsident Bayern (treuhänderische Verwahrung 1949-1952).
Kartause Mauerbach bei Wien (am 18.1.1952 Übergabe an das BDA Salzburg und Einlagerung in Mauerbach).
"Mauerbach Benefit Sale" zugunsten von Holocaust-Opfern (1996).
Galerie Westphal, Berlin.
Privatsammlung Norddeutschland (1998 beim Vorgenannten erworben, seither in Familienbesitz).

Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen.

AUSSTELLUNG: Achtzehnte Ausstellung der Berliner Secession, Ausstellungshaus der Berliner Secession, Berlin 1909, Kat.-Nr. 156 ("Regen in Grünheide", Sammlung Guttmann).

LITERATUR: Kunstsalon Paul Cassirer und Hugo Helbing: Moderne Gemälde. Die Sammlung Albrecht Guttmann und Nachlass eines Berliner Sammlers, Versteigerung am 18.5.1917, Los 36 ("Regen in Grünheide", mit Abb.).
Mauerbach Benefit Sale, Christie’s, Wien, Auktion 29.10.1996 [Benefizversteigerung zugunsten von Holocaust-Opfern], Los 289 (m. Abb.).
Ingeborg Becker, Stimmungslandschaften: Gemälde von Walter Leistikow (1865-1908), Begleitbuch zur Ausstellung im Bröhan-Museum, 3.10.2008-11.1.2009, München u. a. 2008, S. 59.

Walter Leistikow gilt als einer der prägendsten Künstler um die Jahrhundertwende, der in Berlin den Aufbruch in die Moderne wesentlich mitbereitet. Als er 1883 mit 17 Jahren das in der westpreußischen Provinz liegende Bromberg verlässt und an die Berliner Akademie kommt, wird er bereits nach einem halben Jahr dort wieder wegen „Talentlosigkeit“ entlassen, wie Lovis Corinth - mit dem er nach anfänglicher Antipathie eng befreundet ist - in seiner zwei Jahre nach Leistikows Tod erschienenen Biografie schreibt (Das Leben Walter Leistikows. Ein Stück Berliner Kunstgeschichte, Berlin: Cassirer 1910). Dies ist sicherlich als Verleihung eines antiakademischen Gütesiegels zu verstehen, das die Aufbruchsbewegungen der Moderne um 1900 kennzeichnet. Schon 1892 ist Leistikow einer der Mitbegründer der Gruppe "Vereinigung der XI", benannt lediglich nach der Anzahl ihrer Mitglieder und ohne Zwang eines künstlerischen Programms, die grundlegende Veränderungen im Ausstellungswesen bezüglich der von den Entscheidungen einer Jury bestimmten Auswahlkriterien fordern. So drängen u. a. Ludwig von Hofmann, Max Liebermann, etwas später auch Max Klinger auf vom offiziellen akademischen Programm losgelöste Ausstellungsmöglichkeiten, in denen Naturalismus, Realismus, Impressionismus und auch Symbolismus in experimenteller Art und Weise koexistieren dürfen. Wenig später geht aus den "XI" die Berliner Secession hervor, an deren Gründung Leistikow ebenfalls federführend beteiligt ist. Deren Gründungsmythos - verfestigt u. a. auch von Corinth - wird längere Zeit auf die fälschlich gemeldete Zurückweisung von Leistikows „Grunewaldsee“ durch die Jury der Großen Berliner Kunstausstellung zurückgeführt (1898 wird das Gemälde von der Berliner Nationalgalerie als Geschenk von Richard Israel angenommen). Ab Anfang der 1890er Jahre wendet sich Leistikow zunehmend seinem bevorzugten Motiv der märkischen Landschaft in der näheren Umgebung Berlins zu, deren versteckte Seen und mit lichten Kiefern bewaldete Ufer neue, unentdeckte Ansichten abseits des Großstadttreibens bieten. Einige seiner großbürgerlichen Förderer der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Elite Berlins stellen ihm und seiner Familie ihre Villen am Grunewald-, Schlachten- oder Dianasee zur Verfügung, wo Leistikow mit seiner Familie die Sommer verbringt. Nachdem dank dieser Förderung Leistikows finanzieller Erfolg Ende der 1890er Jahre einsetzt, erwirbt er schließlich 1902 selbst ein Haus mit großem Atelier im südöstlichen Umland Berlins in Erkner/Grünheide. Einer der engsten Freunde Leistikows, der Schriftsteller und Journalist Theodor Wolff, charakterisiert seine Landschaften als „realistische Romantik“ - bei denen der realistische Natureindruck zwar zugrunde liegt, in denen der Maler aber sein Einfühlungsvermögen in die Natur über rein materialistische Nachbildung hinaus mit einfließen lässt und diese so in Stimmungslandschaften verwandelt. In seinem Enthusiasmus für die nördliche, symbolistisch beeinflusste Malerei etwa seines Freundes Edvard Munch, für den er sich bereits 1893 eingesetzt hatte, wird Leistikow zum Vertreter einer „nervösen Romantik“ (Hermann Bahr), deren Werke eine kontemplative Seherfahrung bereithalten. Nach 1900 macht sich Leistikow zusehends frei von der vorherigen Stilisierung im Sinne eines linearen und flächenhaften Jugendstils und gelangt zu einer lockereren Freilichtmalerei, die er bis zu seinem Lebensende verfolgt. Die Töne werden lichter und er entdeckt sein Interesse an fein nuancierten hellen Farbabstimmungen, so wie in unserem Bild die hellen Grün- und matten Blautöne miteinander harmonieren. Das impressionistische Motiv des Gartens lässt die Natur weniger mystisch als seine früheren Landschaften erscheinen. Nach wie vor bietet sich die Landschaft allerdings ohne Figuren dar, eine menschliche Präsenz ist nur leise in der Bestellung des Gartens mit dem Laubengang und den wenigen buntfarbigen Tupfen der blühenden Büsche zu erahnen. Leistikow lässt darüber in abgetönten Farben die drückende Hitze des weiten Sommerhimmels entstehen, der sich im Hintergrund über dem See wölbt. Die Natur des klaren, diesigen Sommertags wirkt beseelt für sich allein, in ihrem Wachsen und Sein eingefangen als „feine flüsternde Bilder“, wie Theodor Wolff schreibt. 1908 setzt Leistikow schließlich seiner langjährigen Syphilis-Erkrankung durch den Freitod ein Ende. Seine Werke sind heute in zahlreichen Museen im In- und Ausland präsent, allen voran dem Bröhan-Museum in Berlin, das ihm zu seinem 100. Todestag 2008 eine umfangreiche Retrospektive widmet. [KT]



60
Walter Leistikow
Garten in Grünheide, 1905.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 33.750

(inkl. Käuferaufgeld)