Lexikon
Arte Povera

Eine der wichtigsten italienischen Kunstströmungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Arte Povera. In den 1960er Jahren fanden italienische Künstler zu einer neuen künstlerischen Sprachform, die sich maßgeblich über eine veränderte Materialästhetik ausdrückte. Dabei meint Arte Povera weniger die Verwendung "ärmlicher" Materialien, wie es der Begriff zunächst suggeriert. Im Fokus steht vielmehr die Überwindung des tradierten Verständnisses der Wertigkeit von Materialien. Vor diesem Hintergrund ist innerhalb der Arte Povera der gleichberechtigte Einsatz von Holz, Gips, Erde, Glas, Filz und Steinen, aber auch von Seide, Stahl, Gold und Marmor gerechtfertigt, wenngleich den "armen" Werkstoffen immer ein großer Stellenwert beigemessen wird.
Hauptvertreter der Arte Povera sind Mario Merz, Michelangelo Pistoletto, Jannis Kounellis, Luciano Fabro, Giuseppe Penone und Giulio Paolini. Es war schließlich der Kunstkritiker und Kurator Germano Celant (geb. 1940), der den Begriff "Arte Povera" 1967 als Titel für eine Ausstellung wählte und der in der Folge in der Kunstgeschichte Bestand haben sollte.
Die Arte Povera-Künstler fanden zu ganz unterschiedlichen ästhetischen Lösungen. Gegen Ende der 1960er Jahre definierte Mario Merz (1925-2003) das Iglu als die ursprünglichste Form menschlichen Wohnens. In der Folge variierte Mario Merz das Iglu und dessen charakteristische Halbkugelform, indem er es aus unterschiedlichen Materialien wie Glas, Gips, Ästen oder Leder herstellte. Ein wichtiges Element ist für ihn die Fibonacci-Reihe, die auf einen der berühmtesten Mathematiker des Mittelalters, Leonardo Fibonacci, zurückgeht: Die Zahlenfolge ergibt sich aus der Addition der beiden vorhergehenden Ziffern und lautet damit 0-1-1-2-3-5-8-13-21 etc.. Für Mario Merz erschloss diese Zahlenreihe die wuchernde Kraft der Schöpfung, die daher als Sinnbild allen Lebens in seinem Werk auftaucht.
Jannis Kounellis (geb. 1936) hingegen beschäftigt sich vornehmlich mit Fragen nach dem Anbeginn der Kultur und bezieht vergangene Epochen wie die Antike oder die Renaissance zitathaft, beispielsweise in Form von Abgüssen klassischer Bildwerke, in sein Oeuvre ein.