Auktion: 415 / Klassische Moderne am 06.06.2014 in München Lot 202

 

202
Willi Baumeister
Figur, 1922/23.
Gouache
Schätzung:
€ 35.000
Ergebnis:
€ 70.760

(inkl. Käuferaufgeld)
Figur. 1922/23.
Gouache und Bleistift.
Ponert/Karg-Baumeister 131. Auf der Rahmenrückwand mit collagiertem Papier, dort signiert und datiert. Auf chamoisfarbenem Zeichenkarton. 43 x 29,5 cm (16,9 x 11,6 in), Blattgröße. [JS].

Eine der ausgesprochen seltenen farbigen Papierarbeiten der frühen 1920er Jahre

Diese Losnummer kann entgegen der im Katalog genannten Regelbesteuerung auch differenzbesteuert + Weiterberechnung der verauslagten 7% Einfuhrumsatzsteuer abgerechnet werden (Ersparnis von etwa 5% im Vergleich zur Regelbesteuerung). .

PROVENIENZ: E .F. Burckhardt, Architekt, Küsnacht (laut Tagebuchnotiz des Künstlers am 17.5.1929 direkt vom Künstler erworben).
Galerie Renée Ziegler, Zürich.
Privatsammlung (1986 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Willi Baumeister, Galerie d´Art Contemporain, Paris 1927 (auf einem Ausstellungsfoto von 1927 im Archiv Baumeister dokumentiert).

Während seiner Lehre als Dekorationsmaler besucht Willi Baumeister zunächst Abendkurse an der Kunstakademie in Stuttgart. Von 1909-1912 gehört er zur Kompositionsklasse Adolf Hölzels und hat erste Kontakte zu dem späteren Bauhausmaler Oskar Schlemmer, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden wird. 1919/20 entstehen die ersten "Mauerbilder", Bildtafeln, die durch Beimischung von Sand und Kitt mauerähnlich reliefiert und mit kubistischem Formengut gestaltet werden. Diese Bilder bringen Baumeister den internationalen künstlerischen Durchbruch.

Seit den 1910er Jahren steht die Figur im Zentrum von Baumeisters künstlerischem Schaffen. Anfänglich entstehen jedoch noch Kompositionen im Stile Cézannes, mit in der Landschaft arrangierten Knaben- und Mädchenakten. Besonders in den Zeichnungen, die im Gegensatz zu den Gemälden von der noch impressionistischen Farbwirkung befreit und ganz auf die Kontur konzentriert sind, zeigen sich bald bereits Anklänge einer kubistischen Zerlegung. Das Wechselspiel von Raum und Körper wird zunehmend zugunsten einer Dominanz der Linie und einer stärkeren Präsenz der Figur aufgegeben und in eine reduzierte Formsprache überführt. Bald aber gibt Baumeister diese auf die Kontur basierende Sicht des menschlichen Körpers zugunsten einer rein auf Flächenelementen basierenden Formsprache auf und entdeckt im Zuge dessen um 1920 die Gouache als künstlerisches Ausdrucksmittel. In unserer Figur von 1922/23 erreicht Baumeisters Entwicklung hin zu einer entindividualisierten Körperlichkeit, welche auf jegliche Binnenkontur verzichtend allein aus der Überlagerung geometrischer Farbflächen generiert wird, einen frühen Höhepunkt von beeindruckender malerischer Präsenz. Während die früheren Arbeiten im Bereich der Hände und der Gesichter immer noch Details wie Augen, Nase, Mund und Finger zeigen, verzichtet der Künstler hier im Sinne eines fortschreitenden Abstraktionsgrades, welcher für Baumeisters weiteres künstlerisches Schaffen grundlegend sein wird, auf diese nur scheinbar zwingenden formalen Charakteristika.

1928 beruft die Frankfurter Städelschule den Künstler als Leiter der Klasse für Gebrauchsgrafik, Typografie und Stoffdruck. 1930 schließt sich Baumeister dem "Cercle Carré" an, 1931 wird er Mitglied der Künstlergruppe "Abstraction-Création". Im Dritten Reich als "entartet" verfemt, kann Baumeister als Künstler kaum in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Er widmet sich daher prähistorischen und orientalischen Studien, die den wesentlichen Motivfundus seiner "Eidos"-Bilder und "Ideogramme" bilden. Während des Krieges schreibt Baumeister das Buch "Das Unbekannte in der Kunst", das 1947 erstmals erscheint. In der Nachkriegsära nimmt er seine Lehrtätigkeit an der Kunstakademie in Stuttgart wieder auf. Baumeister zählt durch sein umfassendes Œuvre und seine grundlegenden kunsttheoretischen Schriften zu den wichtigsten deutschen Künstlern der Moderne. Sein in viele Werkgruppen gegliedertes Œuvre, eingangs noch dem Gegenständlichen verhaftet, zeigt eine immer abstrakter werdende Formensprache.




202
Willi Baumeister
Figur, 1922/23.
Gouache
Schätzung:
€ 35.000
Ergebnis:
€ 70.760

(inkl. Käuferaufgeld)